Wider den Wachstumsglauben

Wenn die großen Probleme unserer Zeit diskutiert werden, hört man ständig von der Hoffnung und der Erwartung, dass zunehmendes Wirtschaftswachstum Hilfe bringen möge. Dabei sind Menschen zu bewundern, die den Eindruck erwecken, dass sie die komplexen Verhältnisse der Weltwirtschaft durchschauen.

Wenn dieselben Menschen aber nicht in der Lage sind, grundlegende Naturgesetze zu begreifen, lässt die Bewunderung nach, und man fragt sich, wie selektiv Intelligenz sein kann.

Wer sich mit Naturgesetzen auskennt, weiß, dass es kein Perpetuum Mobile gibt. Ebenso wenig ist endloses Wachstum möglich. Wieso sind wirtschaftlich gebildete Menschen unfähig zu erkennen, dass ihre Wachstumswünsche an natürlichen Grenzen enden ? (frei nach Lothar Mayer, Lit.1). Nur Kriege, die alles zerstören, können in einer Wohlstandsgesellschaft wieder Platz für industrielles Wachstum schaffen, aber nur Verbrecher und Wahnsinnige befürworten Kriege.

Innovationen helfen nur sehr eingeschränkt. Sie sind kaum mehr als ein Werkzeug im globalen Verteilungskampf, ebenso wie andere landesspezifische Vorteile. Als Allheilmittel sind sie ungeeignet, etwa so, wie der Versuch eines Gastwirtes, seinen gesättigten Gästen durch neue Menüvorschläge noch mehr zu verkaufen. Vielleicht nimmt ein Gast noch ein Praliné oder füttert seinen Hund, aber Hunger bekommt er so schnell nicht mehr.

So lässt sich die Hoffnung interpretieren, dass ein schwacher Inlandsmarkt dauerhaft durch Export zu kompensieren sei. Es wird tatsächlich einige Zeit brauchen bis auch in den weniger industrialisierten Staaten Sättigungserscheinungen eintreten. Im Prinzip besteht aber beim Verlagern von Absatzproblemen ins Ausland kein wesentlicher Unterschied zum verbotenen Schneeballsystem. Wer es beginnt hat seinen Vorteil und wer nachkommt wird letztendlich alles verlieren. Zuvor werden aber dramatische Umweltereignisse verdeutlichen, dass auch die Plünderung der Natur Grenzen hat. Bisher ging industrielles Wachstum meist zu Lasten der Zukunftschancen kommender Generationen.

Wachstum ist ein natürlicher Vorgang. Was nicht wächst, ist tot. Gleichzeitig ist aber auch der Tod allen Lebens auf Wachstum zurückzuführen. Krebs ist außer Kontrolle geratenes Wachstum, vergleichbar mit dem Wirtschaftswachstum in Wohlstandsgesellschaften.

Wenn die Menschheit als Ganzes überleben will, müssen wir unseren Verstand einsetzen und versuchen, mit einem Minimum an Wachstum auszukommen. Andernfalls ist absehbar, dass die Spezies Mensch nur ein relativ kurzfristiges Ereignis in der Weltgeschichte sein wird. Ist es nicht lächerlich, wenn Menschen sich dann als “die Krone der Schöpfung” betrachten?

Man sollte es klar sehen: Wir verdanken insbesondere dem Wirtschaftswachstum nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch fast alle langfristig lebensbedrohlichen Zustände. Die meisten Probleme unserer Zeit sind auf das stattgefundene Wachstum zurückzuführen. Wie kann man dann glauben Verbesserungen durch weiteres Wachstum herbeizuführen?

Wachstum ist wie ein starkes Medikament. Es hilft aus gesundheitlichen Notsituationen. Wenn aber danach das gleiche Medikament weiter eingenommen wird, kann der Patient daran zugrunde gehen.

Es ist ein unvernünftiges Wachstumsstreben, das Menschen dazu treibt, immer mehr haben zu wollen, selbst wenn die Voraussetzungen für ein zufriedenes Leben bereits übererfüllt sind. Das Gegenteil von Glück wird dadurch ausgelöst, etwa so, wie aus ungefährlichem Genuss von Alkohol Sucht und Krankheit wird, wenn dem Konsum keine Wachstumsgrenze gesetzt wird. (Die Bierhersteller klagen seit einiger Zeit, dass der Bierkonsum nicht weiter zunimmt, und der Wirtschaftsminister findet dies gewiss sehr beunruhigend).

Es sieht ganz so aus, als ob die Mehrzahl der Menschen entgegen aller Selbsthuldigung keine vernunftbegabten Wesen sind. Es sind nur einzelne Individuen, die das Wachstum als die große Gefahrenquelle erkennen, die es darstellt.

Die scheinbaren Gegenspieler Kapital und Gewerkschaften wollen im Prinzip beide für ihre jeweilige Klientel das Gleiche: mehr, mehr und noch mehr. Damit gekoppelt sind viele fatale Handlungen, die letztendlich den menschlichen Lebensraum zugrunde richten.

Natürlich ist es das Bestreben derjenigen, die allein vom Wachstum leben, selbiges immer weiter voranzutreiben. So wie ein Schmarotzer nur leben kann, solange sein Wirt lebt, braucht unsere Geldwirtschaft den arbeitenden Menschen, den sie gleichzeitig zugrunde richtet. Das Einkommen aus Vermögen kann nicht als Element einer ehrlichen Leistungsgesellschaft verstanden werden. Die Geldwirtschaft ist die stärkste Triebfeder aller Wachstumsbemühungen. Niemand braucht Wirtschaftswachstum so sehr wie alle, die Geld mit Geld verdienen und ansonsten niemandem dienen und keine anderen Werte schaffen, als die auf den eigenen Bankkonten.

Alle obengenannten Punkte wurden bereits von vielen Denkern tiefgehend beschrieben (Lit. 1/2/3/usw.) aber es sieht so aus, als ob selbst Journalisten, zu deren besonderer Aufgabe es gehören sollte aufzuklären, keinerlei Kenntnis davon nehmen. Man ist vermutlich zu sehr mit DAX und DOW beschäftigt, um die Gefahren zu sehen und ernst zu nehmen, die die Zufriedenheit, die Gesundheit und letztlich das Leben aller Menschen immer mehr bedrohen.

Wenn beispielsweise Journalisten in Fernsehsendungen wie “Der Presseclub” (ARD) ausnahmsweise auf Umweltprobleme zu sprechen kommen, so geschieht dies durch ein Guckloch ohne Bezug zur Wirtschaft und im nächstmöglichen Augenblick wird unisono wieder Wachstum herbeigebetet. Der nächste Konjunkturschub wird so selbstverständlich erwartet, als ginge es um die nächste Schönwetterphase. Den langfristigen Werdegang lässt man sich willig durch das Auf und Ab natürlicher Entwicklungen vernebeln.

Dabei darf als gesichert angesehen werden, dass alle, die Probleme durch Wachstum beheben wollen, nur kurzfristig denken und, wie üblich, der Nachwelt umso schlimmere Probleme bescheren. Da passt der Spruch: “Aus Mangel an Interesse findet die Zukunft nicht statt”.

Wenn die Nachwelt nicht nur eine Chance haben soll, sondern einer langen Zukunft zuversichtlich entgegensehen möchte, wäre es von größter Bedeutung, dass das Wachstum auch bezüglich des Wachstums der Menschenzahl auf Erden beendet wird. Dies leuchtet oft am ehesten ein und hat z.B. in China zur verordneten “Ein-Kind-Ehe” geführt. Hätte man früher nachgedacht und gehandelt, wäre diese Härte unnötig gewesen. Wie viel Leid verschiedenster Art könnte man damit vermeiden, wenn heute Ehen mit maximal zwei Kindern weltweit angestrebt werden würden! Kulturen, deren Sicherheit auf einem Mehr an Kindern aufbaut, versündigen sich in ähnlicher Weise an der Zukunft wie unsere Gläubigen des Wirtschaftswachstums.

Eine besonders unglückliche Rolle in der Problematik der Überbevölkerung spielen kulturelle Blockaden und insbesondere die katholische Kirche. Es ist schlimm, wenn Menschen, die Gutes beabsichtigen, das genaue Gegenteil bewirken. Gibt es denn keine Religion, die in der gegebenen Situation die Achtung vor der Schöpfung allen anderen Gesichtspunkten unterordnet? Werden sich die Vertreter der etablierten Religionen nicht bewusst, dass aller Glauben ad absurdum geführt wird, wenn ungeachtet der Glaubenszugehörigkeit alle Menschen vor dem Ende ihrer Existenz stehen?

Es ist höchste Zeit, dass der Mensch umdenkt. Wahrscheinlich gibt es Auswege aus der verfahren aussehenden Lage. Voraussetzung ist aber, dass zunächst den Götzenbildern der Wirtschaft abgeschworen wird. Jede Therapie beginnt mit einer Diagnose. Mit der Erkenntnis, dass weiteres Wirtschaftswachstum in Wohlstandsgesellschaften lebensgefährlich ist, könnte ein Gesundungsprozess beginnen. Neue Wege können gefunden werden, wenn Wahrheit zur Grundlage genommen wird.

  1. Lothar Mayer
    Ein System siegt sich zu Tode - Der Kapitalismus frisst seine Kinder
    Publik Forum Dokumentation
  2. Peter Kafka
    Gegen den Untergang Schöpfungsprinzip und globale, Beschleunigungskrise
    Carl Hanser Verlag, München Wien, 1994
  3. Hans A. Pestalozzi
    Auf die Bäume, ihr Affen!
    Zytglogge Verlag, Bern, 1989
  4. und viele Andere, die alle nicht genügend zur Kenntnis genommen werden, vor allem nicht von Wirtschaftlern und den meisten, die Verantwortung für Staat und Gesellschaft haben.

 

 

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